Erinnerungen von Eugenie Bernreuther (geb. 1920 in Madrid) verfasst im Mai 1995.
„Ach, so viele Jahre trage ich im Geäst!“
Klein und dünn noch hat mich der junge Gastwirt Johann Georg Bernreuther vor über 150 Jahren mit mehreren Schwestern vor sein neues Haus gepflanzt. Ich erfuhr, dass selbiger aus der wohlhabenden Brauerfamilie im nahen Eysölden stamme.
Bereits l648 hatte ein lediger Bierbrauer Hannß Bernreuther wegen seines evangelischen Glaubens mit anderen Exulanten seinen Hof in Oberösterreich verlassen müssen. Den evangelischen Markgrafen von Ansbach kamen diese Auswanderer recht gelegen: durch Pest, Krieg und plündernde Haufen war unsere Gegend ganz und gar „entvölkert“ und so litten sie wohl nicht zuletzt unter den mangelnden Einkünften. Viele Flüchtlingsfamilien siedelten im „Land um Stauf“.
Hannß heiratete das Jahr darauf eine Ortsansässige aus dem nahen Einödhof Appenstetten, erwarb in Offenbau eine „eichstättische“ Hofstelle mit kleiner Brauerei. Damals war ja fast jeder Hof einer anderen Obrigkeit verpflichtet: die paar Gehöfte in Offenbau gehörten zu sechs verschiedenen Herrschaften!
Er war tüchtig und bekam sogleich ein kleines Amt als Beisitzer im Gericht zu Obermässing übertragen, hinterließ l684 neun Kinder und einen ansehnlichen Besitz, den seine Nachkommen bis zum Jahre 1831 bewirtschafteten. Heute gehört das 1960 mit einer Gastwirtschaft neubebaute und 1993 zu einem Wohnhaus umgestaltete Anwesen wieder zum Pyraser Besitz.
In der „Bierlinie“ der Familie blieb das Brauergewerbe immer vorherrschend.
Der zweitgeborene Sohn Veit Ulrich (1660–1732) übernahm zunächst eine Weißbierbrauerei in Roth (ehemals „Zum Hirschen“ in der Oberen Vorstadt) und wenig später mit seiner zweiten Frau auch die Wirtschaft mit Brauerei „Zum schwarzen Bären“ in Eysölden. Er muss gut gewirtschaftet haben: 1724 kaufte er – wohl als Heiratsgut für seinen Sohn Veit Ulrich (1698–1781) – sehr teuer den „Vogthof“ und die „Angerwirtschaft“ hier in Pyras. Bei einem so vermögenden jungen Mann haben beide Väter vertrauten nicht allein der „Liebe“, sondern handelten sogar ein Ehekontrakt aus. 1749 verkaufte er die Pyraser Besitzung seinem 21–jährigen Sohn Johann Adam (1728–1811), der nach Pyras zog und damit der erste „Angerwirt“ des Familienstamms Bernreuther wurde. Im selben Jahr wurde die Eysöldener St. Thomas Kirche neu erbaut, deren Friedhof die letzte Ruhestatt der Pyraser Familie Bernreuther ist. Viele habe ich hier aus dem Haus zur letzten Ruhe hinüberziehen sehen: Junge und Alte, Säuglinge und Greise. Nach dem Brauch war ihnen die Totenwacht allen in der niederen Wirtsstube gehalten worden. Zuletzt war es 1969 so für Friedrich und zwei Jahre drauf für seine Mutter bestellt gewesen. Kein großes Blumengesteck, nur ein kleiner Strauß duftender Veilchen aus dem Garten stand am Fuß ihres Sarges.
Der junge Adam hat sich bald in Alfershausen seine Frau gesucht und führte mit ihr die Gastwirtschaft am Fuhrweg nach Hilpoltstein. Der Sohn Georg Adam (1763–1834), der wie sein Vater eine Alfershausenerin heiratete, erlebt noch den mächtigen Neubau, mit dem der junge Hoferbe Johann Georg (1795–1864) seinen Wohlstand kundtat.
Vor seiner Heirat Ende September 1829 mit einer reichen Bauerntochter, einer Gerngroß vom nahen Zereshof, war wohl die wichtigste Angelegenheit die Hausrenovierung. Man brauchte außer der Wirtsstube noch Schlafkammern für Dienstboten. Etliche Äcker hatte der Vater noch zum Sach‘ dazu erwerben können, so wurden weitere Getreideböden von Nöten. Das Haus wurde aufgestockt, der Giebel mit selbstgebrochenen Steinen hochgezogen.
Zum Schluss ward ich junge Linde als Hausbaum vors schmucke Heim gesetzt, bekam sogar ein Holzgitter, um mich zu schützen. So wichtig war ich dem Herrn. Seine Schafherde zog oft über den Hof: die hätte mir wohl bald den Garaus gemacht. Sie wurde zum nahen Anger getrieben. Von dem hatte die Wirtschaft ja ihren Namen: Der „Angerwirt“ ist bis heute der gebräuchliche Hausname geblieben.
So steht das rötliche Sandsteinhaus seither vor mir. Auf der hohen Giebelseite schaue ich auf goldene Lettern der Tafel:
„Georg Bernreuther 1829“ ließ der Vater stolz eingravieren. Überm Haustürbogen lese ich: „Ad. Bernreuther 1855“.
Ja, in der Zeit begann der Umtrieb um mich herum. Ich war schon ein hübscher Baum geworden und eines Sommers in diesen Jahren brach man zu ersten Mal Zweige, um meine Blüten für heilsamen Tee zu pflücken. Das duldete ich früher oft und gerne.
Dann sah ich das geschäftige Treiben um den Bau der Brauerei. Sorge machte mir der Brunnen, den sie gleich neben meinen Wurzeln niederbrachten. „Ob genug Wasser für mich bleibt?“ habe ich mich gefragt. Angst machten mir die ersten Lastwagen – zurecht wohl: einer hat vor Jahren eine jüngere Nachbarin mit ihrem mannsdicken Stamm umgerannt und eine andere so verletzt, dass sie heute noch an den Wunden leidet. Ich musste zum Glück nur ihren Gestank erdulden – und ab und zu rissen sie mir unachtsam meine niederen Äste aus.
Nicht lang ist es auch her, da wurden Kabel gezogen und eh mein junger Herr es sich versah hatten die Arbeiter zwei meiner dicksten Wurzeln durchtrennt. Da hättet ihr ihn sehen sollen! Aber was half mir der Lärm, den er machte? Ich hatte schwere Sommer.
Ja, was habe ich als Hauslinde doch alles erlauscht und erspäht! Jetzt, in manchen Sturmnächten, da knarzt, schaukelt und rumort es in mir, werde ich etwa gebrechlich? Da denke ich immer öfter an meine Schwestern. Allein bin ich übrig geblieben seit die letzte vor Jahrzehnten der Säge weichen musste: zu viel Schatten und Kälte brachte sie ins Haus.
Es ist wohl an der Zeit allerlei Geschichten weiter zu raunen, ehe sie wie Blattwerk verflattern …
Es hat sich eine Schreiberin gefunden. Lange schon, wohl seit dem letzten Krieg, schaut sie auf mich, weiß so manches von meinen Tagen, meinen Erlebnissen um dieses Haus, über die Menschen, die hier ein und aus gingen mitsamt ihren Wichtigkeiten. Bei Gartenarbeit lauscht sie in meine mächtige Krone, ihre Gedanken, das spätere selbst Gelebte, verquickt sie mit Angelesenem, Erforschtem über diese 10 Generationen „Bernreuther“ hier am Ort und so trachtet sie nun, es zu Papier zu bringen. Für ihre drei verbliebenen Kinder, acht Enkel und die Urenkel.